Stevens-Johnson-Syndrom | Gelbe Liste (2024)

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Das Stevens-Johnson-Syndrom ist eine seltene, lebensgefährliche Reaktion auf Arzneimittel und äußert sich in einem erythematösen makulösen Exanthem mit Ablösungen der Epidermis. Auch die Schleimhäute sind in der Regel betroffen.

ICD-10 Code

  • L51.1 - Bullöses Erythema exsudativum multiforme
  • L51.2 - Toxische epidermale Nekrolyse [Lyell-Syndrom]

Stevens-Johnson-Syndrom | Gelbe Liste (1)

Definition

Das Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) ist eine schwerwiegende Reaktion auf Arzneimittel mit primärer Manifestation an der Haut und den Schleimhäuten. Die Maximalform des SJS wird als toxische epidermale Nekrolyse (TEN) bezeichnet.

Die Erkrankung wird je nach Ausmaß der Epidermisablösung im Verhältnis zur Körperoberfläche wie folgt eingeteilt [1,2]:

  • Stevens-Johnson-Syndrom: <10% der Körperoberfläche
  • SJS-TEN-Übergangsform: 10–30% der Körperoberfläche
  • toxische epidermale Nekrolyse: >30% der Körperoberfläche

Epidemiologie

Das SJS und die TEN sind seltene Erkrankungen. Ihre kombinierte Inzidenz wird auf ca. 1–6 pro eine Millionen Personenjahre geschätzt. Eine HIV-Infektion gilt als gesicherter Risikofaktor für das SJS und die TEN und erhöht das Risiko um etwa das 1000-fache [1-5].

Ursachen

In vielen Fällen kann trotz eingehender Untersuchungen keine eindeutige Ursache für das SJS oder die TEN identifiziert werden. Am häufigsten gelten Medikamente als Ursache, aber auch Infektionskrankheiten scheinen ein SJS bzw. eine TEN auslösen zu können. Vereinzelt wurden auch Assoziationen zu Lupus erythematodes und Aplasie nach allogener Stammzelltransplantation berichtet [1,2].

Arzneimittel

Zu den am häufigsten auslösenden Medikamenten gehören [2,4-6]:

  • Phenytoin
  • Allopurinol
  • Cotrimoxazol
  • Carbamazepin, Lamotrigin

Seltener können auch folgende Arzneimittel ein SJS oder eine TEN verursachen [2,4-6]:

  • Paracetamol, Metamizol, Ibuprofen, Naproxen, Ketorolac
  • Meloxicam, Piroxicam, Tenoxicam
  • Ceftriaxon, Levofloxacin, Ciprofloxacin, Clarithromycin, Amoxicillin mit oder ohne Clavulansäure
  • Nevirapin
  • Pantoprazol, Omeprazol
  • Sertralin
  • Lorazepam

Das höchste Risiko, ein SJS bzw. eine TEN zu entwickeln, besteht in den ersten Wochen nach Beginn einer medikamentösen Therapie. Nach etwa acht Wochen nimmt das Risiko deutlich ab [2].

Infektionskrankheiten

Infektionen mit Mycoplasma pneumoniae oder Herpes simplex scheinen ebenfalls ein SJS bzw. eine TEN auslösen zu können [1,2].

Pathogenese

Die genaue Pathophysiologie des SJS und der TEN ist nicht vollständig verstanden. Als Grundlage gelten zellvermittelte Typ-IV-Hypersensitivitätsreaktionen mit einer dysregulierten Reaktion der zytotoxischen T-Zellen, infolgedessen es zur Apoptose bzw. Nekrose von Keratinozyten kommt. Der Zelltod der Keratinozyten ist neben den zytotoxischen T-Zellen auf zytotoxische Moleküle wie Fas-Ligand (FasL) und Granulysin zurückzuführen.

Zudem wurde festgestellt, dass bestimmte genetische Faktoren eine Rolle bei der Entstehung des SJS und der TEN spielen können. Zum Beispiel wurde eine starke Assoziation zwischen dem Allel HLA-B*5801 und und durch Allopurinol ausgelöste Fälle des SJS bzw. der TEN beschrieben [1,2].

Symptome

Akutphase

Die initialen Symptome des SJS und der TEN sind oft unspezifisch und umfassen u. a. Fieber, Schluckbeschwerden und brennende Augen. Nach einigen Tagen kommt es zu den typischen kutanen Manifestationen primär an der Brust, dem Gesicht, den Fußsohlen und den Handflächen. Die frühen Hautläsionen fallen als erythematöse und livide Maculae auf, die häufig konfluieren.

Anschließend kann es zu Blasenbildung und schmerzhaften großflächigen epidermalen Ablösungen kommen. Parallel zur Hautmanifestation tritt häufig ein ausgeprägtes Krankheitsgefühl mit Fieber auf [1,2].

Auch Schleimhäute weisen bei mehr als 90% der Patienten Erytheme und Erosionen auf. Dabei sind besonders die Mund- und Genitalschleimhaut sowie die Konjunktiven betroffen [1,2].

Komplikationen

Neben den offensichtlichen Hautsymptomen können SJS und TEN auch schwere Komplikationen wie sekundäre Infektionen und Sepsis sowie Hypothermie, Hypovolämie und Elektrolytverluste nach sich ziehen. Darüber hinaus können auch die Augen in Mitleidenschaft gezogen werden: schwere Augentrockenheit, Trichiasis, Symblepharon und Hornhauttrübungen, bis zur Erblindung [1,2].

Weiterhin kann es zur Nekrose von Epithelzellen des Gastrointestinaltrakts sowie der Bronchien kommen. Die Nieren und die Leber können ebenfalls geschädigt werden. Häufig kommt es zu einem Verlust der Haare und Nägel [1,2].

Diagnostik

Es gibt keinen spezifischen Test für das SJS und die TEN. Die Diagnose wird primär aufgrund der klinischen Symptomatik und der Histologie gestellt. In der dermatologischen Untersuchung sind bei den betroffenen Hautregionen die Nikolski-Zeichen positiv. Dieses wird durch leichten Schiebedruck auf die Epidermis ausgelöst und äußert sich in einer Ablösung der Hautschichten und der Bildung von Blasen.

Darüber hinaus ist in der Anamnese die Erfassung der angewendeten Medikamente von besonderer Bedeutung [1,2].

Histologie

Eine epidermale Nekrose der gesamten Epidermisdicke sowie ein negativer direkter Immunfluoreszenztest sind erforderlich für die histologische Bestätigung des klinischen Verdachts auf das SJS bzw. die TEN [1,2].

Therapie

Zur Vermeidung von okulären Komplikationen sollte frühzeitig ein Ophthalmologe mit in die Behandlung einbezogen werden [1].

Evaluation der Krankheitsschwere und Prognose

Schnellstmöglich sollten die Krankheitsschwere und die Prognose mithilfe des SCORTEN-Scores abgeschätzt werden. In der Regel sollten Patienten auf einer (spezialisierten) Intensivstation behandelt werden, insbesondere bei einem SCORTEN-Score über 2 Punkten. Bei dem SCORTEN-Score wird für jeden der folgenden Parameter ein Punkt vergeben [2,7]:

  • Alter über 40 Jahre
  • Malignom diagnostiziert
  • Tachykardie über 120 Schläge/min
  • Anteil der abgelösten Epidermis an der Körperoberfläche über 10%
  • Serum-Konzentration von Harnstoff über 10 mmol/l
  • Serum-Konzentration von Glukose über 14 mmol/l
  • Serum-Konzentration von Bikarbonat unter 20 mmol/l

Absetzen des auslösenden Medikamentes

Von zentraler Bedeutung bei der Therapie sind weiterhin das Identifizieren und das sofortige Absetzen des auslösenden Arzneimittels. Je früher das Medikament abgesetzt wird, desto besser ist die Prognose. Bei der Identifikation des auslösenden Arzneimittels sollte beachtet werden, ob der chronologische Zusammenhang plausibel ist und das verdächtigte Arzneimittel ein SJS bzw. eine TEN auslösen kann [2].

Supportive Maßnahmen

Supportive Maßnahmen wie Flüssigkeits- und Elektrolytsubstitution sind essenziell, um schwere Flüssigkeits- und Elektrolytverluste auszugleichen. Die Raumtemperatur sollte auf 28°C erhöht werden, um einer Hypothermie bei eingeschränkter Thermoregulation vorzubeugen. Häufig werden Patienten über eine Magensonde mit hyperkalorischer und proteinreicher Nahrung versorgt [1,2].

Dermatologische Versorgung

Ein Debridement der Hautläsionen ist nicht indiziert, da die Hautblasen als natürliche Wundbedeckung wirken. Falls nötig, sollten nichthaftende Wundauflagen verwendet werden. Generell sollte u. a. durch das Auftragen von Schmierstoffen die Einwirkung von Scherkräften auf Haut und Schleimhäute minimiert werden. Antiseptische Spülungen bzw. Umschläge dienen der Infektionsprophylaxe [1,2].

Medikamentöse Therapie

Der Gebrauch von Glukokortikoiden bei der Therapie des SJS bzw. der TEN wird unter Experten aufgrund der nichtaussagekräftigen Evidenzgrundlage kontrovers diskutiert. Andere Immunsuppressiva wie Ciclosporin und Tumornekrosefaktor-alpha-Inhibitoren wurden ebenfalls noch nicht ausreichend untersucht. Manche Studien halten hochdosierte intravenöse Immunglobuline für wirksam, während ein systematischer Review keine Vorteile sieht [1,2,8].

Eine effektive Analgesie und ggf. Sedierung sind häufig indiziert, um Schmerzen und Stress zu mindern. Auch Anxiolytika können zur Vermeidung von posttraumatischen Belastungsstörungen eingesetzt werden [1].

Prognose

Insgesamt sind das SJS und die TEN schwerwiegende Erkrankungen mit einer hohen Letalität, die in Abhängigkeit vom SCORTEN-Score abgeschätzt werden kann [7]:

  • ≤1 Punkt: Letalität 3,2%
  • 2 Punkte: Letalität 12,1%
  • 3 Punkte: Letalität 35,3%
  • 4 Punkte: Letalität 58,3%
  • ≥5 Punkte: Letalität 90,0%

Prävention

Es gibt derzeit keine spezifische Präventionsstrategie für das SJS oder die TEN, da die genaue Ursache und Pathophysiologie nicht vollständig verstanden sind. Allerdings gehören der rationale Einsatz von Arzneimitteln und die Vermeidung von Medikamenten, die bekanntermaßen mit dem Auftreten von SJS/TEN assoziiert sind, zu einer wichtigen präventiven Maßnahme [1].

Hinweise

Obwohl das SJS und die TEN schwerwiegende Erkrankungen sind, gibt es in Deutschland derzeit keine Leitlinie der Fachgesellschaften. Ende 2020 wurde die S3-Leitlinie Diagnostik und Therapie des Steven Johnson Syndrom (SJS) / der toxisch epidermalen Nekrolyse (TEN) angemeldet. Sie soll Mitte 2024 unter der AWMF-Registernummer 013-103 abrufbar sein.

Autor:

Daniel Markett (Medizinstudent)

Stand:

09.05.2023

Quelle:

  1. Duong et al. (2017): Severe cutaneous adverse reactions to drugs. The Lancet, DOI: 10.1016/S0140-6736(16)30378-6
  2. Harr, French (2010): Toxic epidermal necrolysis and Stevens-Johnson syndrome. Orphanet Journal of Rare Diseases, DOI: 10.1186/1750-1172-5-39
  3. Frey et al. (2017): The Epidemiology of Stevens-Johnson Syndrome and Toxic Epidermal Necrolysis in the UK. Journal of Investigative Dermatology, DOI: 10.1016/j.jid.2017.01.031
  4. Diphoorn et al. (2016): Incidence, causative factors and mortality rates of Stevens-Johnson syndrome (SJS) and toxic epidermal necrolysis (TEN) in northern Italy: data from the REACT registry. Pharmacoepidemiology and Drug Safety, DOI: 10.1002/pds.3937
  5. Rodríguez-Martín et al. (2019): Incidence of Stevens-Johnson syndrome/toxic epidermal necrolysis among new users of different individual drugs in a European population: a case-population study. European Journal of Clinical Pharmacology, DOI: 10.1007/s00228-018-2569-3
  6. Gamba et al. (2014): Sorveglianza di reazioni gravi cutanee da farmaco: l’esperienza REACT-Lombardia. Recenti Progressi in Medicina, DOI: 10.1701/1626.17670
  7. Fouchard et al. (2000): SCORTEN: A Severity-of-Illness Score for Toxic Epidermal Necrolysis. Journal of Investigative Dermatology, DOI: 10.1046/j.1523-1747.2000.00061.x
  8. Jacobsen et al. (2022): Systemic interventions for treatment of Stevens‐Johnson syndrome (SJS), toxic epidermal necrolysis (TEN), and SJS/TEN overlap syndrome. Cochrane Database of Systematic Reviews, DOI: 10.1002/14651858.CD013130.pub2
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