Davos und das grosse Tabu: Wer wird Nachfolger des WEF-Gründers Klaus Schwab? (2024)

Die Welt ist im Umbruch, und der Gründer des World Economic Forum (WEF) ist da, wo er am liebsten sein möchte: im Zentrum des Geschehens. Ein Porträt.

Lorenz Honegger

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Davos und das grosse Tabu: Wer wird Nachfolger des WEF-Gründers Klaus Schwab? (1)

Am 22.Mai 1970 erschien auf der Seite 8 der NZZ ein Inserat, das Geschichte schreiben sollte. Ein gewisser Dr. Klaus Schwab von der Universität Genf suchte darin nach einer Sekretärin für «ein neues Projekt». Sie sollte Kontakte herstellen mit internationalen Professoren wie auch Geschäftsleuten und in der Lage sein, grosse Konferenzen zu organisieren. Englischkenntnisse waren Pflicht, Französisch und Deutsch optional. Das Inserat markiert einen Wendepunkt in Schwabs Leben.

Wenige Monate später, im Januar 1971, fand die erste grosse Konferenz statt. Schwab finanzierte den Anlass mit Unterstützung seiner Eltern, Ersparnissen aus seiner Zeit als Manager beim Industrieunternehmen Escher Wyss und mit einem Kredit. Der damalige Korrespondent der NZZ lobte das «European Management Symposium» im Nachhinein überschwänglich als «bisher einzigartiges Zusammentreffen» mit weltbekannten Referenten und einer ebenso beeindruckenden Teilnehmerliste. «Die Unternehmungen entsandten ausnahmslos ihre führenden Mitarbeiter.»

Als Sekretärin verpflichtete Schwab eine Aargauerin namens Hildegard Stoll. Sie wurde seine erste Mitarbeiterin und bald auch seine Frau. Das Paar hat zwei erwachsene Kinder. Sohn Olivier wurde 1973 geboren, Tochter Nicole folgte 1975.

Hildegard Schwab baute mit ihrem Mann die Konferenz im Lauf eines halben Jahrhunderts zu einem globalen Mega-Event auf, auch die Kinder begannen für das Forum zu arbeiten. Dieses bringt heute unter dem Namen World Economic Forum (WEF) jedes Jahr Tausende Minister, CEO, Wissenschafter und Aktivisten nach Davos.

«Wenn du etwas werden willst...»

Klaus Schwab, geboren 1938 in Ravensburg, strebte schon immer nach dem Aussergewöhnlichen, vielleicht auch nach dem Unmöglichen. Als junger Mann in den 1960er Jahren machte er nicht nur einen Doktortitel an der ETH, um dem Wunsch seines Vaters zu entsprechen, der ihm gesagt hatte: «Sohn, wenn du etwas werden willst, musst du Maschineningenieur studieren.»

Er besuchte gleichzeitig im Universitätsgebäude nebenan Wirtschaftsvorlesungen, ohne sich einzuschreiben, und schloss anschliessend eine zweite Dissertation an der Universität Freiburg in Ökonomie ab. Als wäre das nicht genug, ging er an die Harvard-Universität und versuchte dort, möglichst viele Kurse gleichzeitig zu besuchen, bis er vom Dekan zurückgepfiffen wurde.

Trotz dieser fast verbissenen Zielstrebigkeit ahnte Schwab nicht, dass er seine Lebensaufgabe gefunden hatte, als er die erste Management-Konferenz in Davos organisierte. Aber bald hatte er, der als Kleinkind während des Zweiten Weltkriegs im Luftschutzkeller die Bomben fallen hörte, einen Zugang zu Unternehmen und Regierungen, von dem Schweizer Bundesräte nur träumen können. Schwab, so ähnlich hat er es selbst einmal gesagt, surft auf dem Meer der Weltgeschichte.

Nun, mit 85 Jahren, sucht er sich seine nächste Welle. Seine Zeit, das weiss auch er laut ihm nahestehenden Personen selber, läuft langsam ab.

Ein Vehikel für die globale Elite?

Bei den Jahrestreffen des WEF in Davos hat Schwab ein durchgetaktetes Programm. Er zeigt sich überall, wo es wichtig ist, trifft sich mit Ministern und Staatschefs, aber auch mit Aktivisten wie Greta Thunberg. Das WEF lebt von der elektrisierenden Atmosphäre, die entsteht, wenn sich viele mächtige Menschen an einem Ort versammeln. Wenn Bill Clinton mit seinen Bodyguards die Davoser Promenade entlangspaziert oder Donald Trump mit seinem Autotross in Davos einfährt, dann dreht sich fast jeder um, und sei er selbst noch so wichtig.

Schon beim ersten Jahrestreffen 1971 des WEF hielt Otto von Habsburg, der älteste Sohn des letzten Kaisers von Österreich, die Eröffnungsrede. Schwab selbst bestreitet es, doch der Celebrity-Faktor ist mit verantwortlich dafür, dass Tausende wichtige Minister, CEO, Wissenschafter und Chefredaktoren sich in Davos eine Woche lang einer Mischung aus Abgas und Schnee aussetzen und zu überrissenen Preisen in mittelmässigen Unterkünften logieren.

Kritiker sehen in der Veranstaltung denn auch ein Vehikel für die globale Elite, die sich in den Schweizer Alpen bei Kaviar und Sekt einen noch grösseren Teil des Wohlstands unter den Nagel reisst. Das ist aber zu kurz gegriffen. An seinem Ziel, Lösungen für eine bessere Welt zu finden, hat der WEF-Gründer immer festgehalten.

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Mit den Hunderten Millionen Franken an Mitglieds- und Teilnahmegebühren von Firmen finanziert das WEF nicht nur das Davoser Jahrestreffen, sondern es betreibt mit seinen 800 Mitarbeitern Standorte von Mumbai bis San Francisco. Die Stiftung führt Initiativen für Gleichstellung, gegen Pandemien, gegen Luftverschmutzung, aber auch für den verantwortungsvollen Umgang mit neuen Technologien, und veröffentlicht regelmässig Forschungspapiere. Schwab, den seine Angestellten respektvoll «Professor Schwab» nennen, hat mehrere Bücher geschrieben, beschäftigt sich mit Quantencomputern und synthetischer Biologie.

Aus der Konferenz ist über die Jahrzehnte eine internationale Organisation entstanden, ein Netzwerk, das Schwab selber auf Augenhöhe mit Institutionen wie der Weltbank oder dem Internationalen Währungsfonds sieht. Wenn er eine Schwäche hat, ist es wohl diese: die Tendenz, sich und das WEF unnötigerweise selbst zu überhöhen. Ein langjähriger, wohlgesinnter Beobachter spricht von einer Eitelkeit, die man Schwab angesichts seines unprätentiösen Auftretens eigentlich gar nicht zutrauen würde. Man entdeckt sie nur, wenn man ihm genau zuhört.

Tendenz zur Selbstüberhöhung

So erwecken Schwab und sein Umfeld seit vielen Jahren den Eindruck, der WEF-Gründer habe das in der Wirtschaft weit verbreitete Stakeholder-Prinzip im Alleingang erfunden. Dabei handelt es sich um die Philosophie, die sich durch alle Aktivitäten des WEF zieht.

Tatsächlich propagierte Schwab bereits Anfang der 1970er Jahre in einem Buch, dass Manager nicht nur den Aktionären, sondern auch der Gesellschaft und all ihren «Interessenten» verpflichtet seien. 1973 schrieb er diese Prinzipien auch im «Davoser Manifest» nieder.

Aber: Der Begriff «Stakeholder» in seiner heutigen Form tauchte schon Anfang der 1960er Jahre in einem Papier der Universität Stanford auf. Klaus Schwab gehörte zweifellos zu den Pionieren der «Stakeholder»-Theorie, aber er war nicht deren alleiniger Erfinder.

Schwab neigt auch dazu, historische Begegnungen und Reden in Davos über die Jahrzehnte so zu beschreiben, dass man am Ende das Gefühl hat, ohne das WEF wäre der Eiserne Vorhang nie gefallen, und ein Impfstoff gegen Corona wäre erst viel später auf den Markt gekommen.

Nötig hätte er das nicht. Niemand bestreitet, dass das WEF als Plattform auf neutralem Boden x-fach Schauplatz für historische Begegnungen, Reden und Beschlüsse war. Niemand stellt in Abrede, dass vieles davon ohne Schwab nicht möglich gewesen wäre. Ein Indiz für seinen Erfolg ist auch der Neid von Schweizer Diplomaten in Bern, die dem WEF in der Vergangenheit hinter vorgehaltener Hand das Ende herbeiwünschten.

Wer folgt auf Schwab?

Der Status des Weltwirtschaftsforums in der internationalen Polit- und Wirtschaftswelt und die gleichzeitig bis heute immense Rolle Schwabs sind auch der Grund, warum die Nervosität in Bezug auf seine Nachfolge gross ist. Schwab ist vier Jahre älter als der amerikanische Präsident Joe Biden und scheint gewillter denn je, das Forum so lange wie möglich weiterzuführen. Das Alter ist eines der wenigen Dinge in Schwabs Leben, die er nicht kraft seines Intellekts und seiner diplomatischen Fähigkeiten lösen kann.

Zwar funktioniert der operative Alltagsbetrieb des Forums längst ohne ihn. Doch nur Schwab verfügt über derart viele und intensive direkte persönliche Kontakte zu Entscheidungsträgern von Xi über Biden, von der Leyen bis zu Macron.

Am WEF-Hauptsitz in Cologny ist die Frage nach der Nachfolge laut Beobachtern ein Tabu. Schwab und seine engsten Mitarbeiter beantworten die häufiger werdenden Medienanfragen mit dem Satz, dass im Fall seines Todes oder eines gesundheitlichen Problems für Kontinuität auf der obersten Führungsebene gesorgt sei. So ist dem Vernehmen nach ein nicht öffentlich bekanntes Mitglied des Stiftungsrates vorgesehen, das bei einem plötzlichen Ausfall Schwabs an seine Stelle treten würde. Doch die eigentliche Nachfolgerin oder der Nachfolger soll erst nach seinem Tod oder Rücktritt bestimmt werden.

Schwabs 54. WEF hat am Montag begonnen. Die Teilnehmer sind hochkarätig, das globale Umfeld schwierig. Mit dem Beginn von Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine steht die regelbasierte Weltordnung vor der grössten Härteprobe seit dem Zweiten Weltkrieg. Die Welt ist im Umbruch, und Klaus Schwab ist da, wo er sein möchte: im Zentrum des Geschehens, dort, wo möglicherweise Geschichte geschrieben wird. Ewig wird er das WEF nicht führen können, aber vorläufig kann ihn niemand ersetzen.

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