Was wird aus dem WEF ohne Klaus Schwab? Mit Lagarde? Was bedeutet das für Davos? (2024)

Kommentar

Nicht alle mögen das Weltwirtschaftsforum. Tatsache ist, dass das Werk seines unermüdlichen Gründers und die bisher 53 Jahrestreffen in Davos der Schweiz eine einmalige Bühne geboten haben. Mit der Ablösung von Klaus Schwab beginnt eine ungewisse neue Ära.

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Aufregung in Bundesbern: Am 15.Januar 2024 kreisen Armeehelikopter über der Hauptstadt. Kolonnen gepanzerter Limousinen fahren zum Bundeshaus. Die Russen kommen nicht. Es sind zuerst der chinesische Ministerpräsident Li Qiang mit seinem Tross und danach der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski, die am gleichen Tag mit der Schweiz vertiefte Gespräche führen. Für die Sicherheitskräfte ist es ein Einsatz, wie sie ihn nur selten erleben.

Li und Selenski sind auf dem Weg ans Jahrestreffen des World Economic Forum (WEF). Der schweizerische Aussenminister Ignazio Cassis fährt zusammen mit Selenski im Sonderzug von Kehrsatz nach Davos. Fast alle Bundesräte tauschen sich dort mit ausländischen Kollegen und Wirtschaftsvertretern aus. Für wenige Tage ist die Schweiz ein wenig Nabel der Welt.

Das WEF ist das Werk eines Mannes, der sich selber nach einigem Überlegen als Systemmanager bezeichnet, der Leute aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zusammenbringt, um die Welt besser zu machen. Manche Verschwörungstheoretiker sehen deshalb in Klaus Schwab einen Handlanger von Grosskapitalisten, welche die einfachen Menschen dieser Erde mit geheimen Abmachungen unterjochen und lenken wollen. Schwab hat es aufgegeben, diese Leute – die ihn auch schon mit Todesdrohungen eingedeckt haben– überzeugen zu wollen. Seiner felsenfesten Überzeugung vom guten Sinn seines Tuns hat das keinerlei Abbruch getan.

Schwab ist in Ravensburg als Sohn eines deutschen Vaters und einer Schweizer Mutter aufgewachsen. Er bekam Bombenalarme mit und das Leid von Klassenkameraden, deren Väter aus dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr nach Hause kamen. Für ihn ist klar, dass er sich für genau das Gegenteil von einem zerstörerischen Kapitalismus einsetzt.

Das hört sich heute etwas woke an. Prompt wird Schwab inzwischen eher von rechtskonservativen als von linken Kreisen angefeindet.

Der promovierte Ingenieur und Ökonom, der an der Uni Genf strategische Betriebswirtschaft gelehrt hat und den seine Mitarbeiter bis heute gerne Professor nennen, ist fasziniert von technologischen Neuerungen. Er hat Bücher geschrieben über die vierte industrielle Revolution. Zurzeit arbeitet er an einem Buch, in dem er den Umbruch seziert, den das Aufkommen künstlicher Intelligenz mit sich bringt. Für Schwab sind technologische Neuerungen nicht per se gut oder schlecht, sie müssen zum Guten genutzt werden. Der Stakeholder-Kapitalismus, der alle zusammenbringt und der sich bei ihm über die Jahre zur inklusiven Stakeholder-Gemeinschaft entwickelt hat, soll Gewähr dafür bieten.

Das hört sich heute etwas woke an. Prompt wird Schwab inzwischen eher von rechtskonservativen als von linken Kreisen angefeindet. Sie stören sich an seinem Weltverbesserungsanspruch und wollen im WEF nicht mehr erkennen als eine Versammlung eitler Selbstdarsteller.

Tatsache ist, dass aus der einstigen Konferenzorganisation über die Jahrzehnte eine Denkfabrik geworden ist, die jenseits des Jahrestreffens in Davos unzählige Stakeholder in verschiedenen Gemeinschaften versammelt. Sie alle arbeiten unentgeltlich an der Lösung diverser Probleme. Das WEF unterstützt sie mit rund 1000 Angestellten und einem Jahresumsatz von gut 400 Millionen Franken. Dieser wird primär durch Jahresbeiträge der Mitglieder und sekundär durch projektgebundene Zuwendungen finanziert. Rund um die Welt verteilt gibt es WEF-Zentren: für die vierte industrielle Revolution, für Cybersicherheit und gar eines für eine neue Ökonomie und Gesellschaft.

Schwab, der sich einer beneidenswerten Fitness erfreut, ist kürzlich 86 Jahre alt geworden – und zur Einsicht gelangt, dass seine letzte grosse Aufgabe darin besteht, die Transformation des WEF von einer gründerzentrierten Initiative zu einer von den Mitgliedern geführten internationalen Organisation zu vollenden.

Per Ende Jahr will sich Schwab deshalb von seinen exekutiven Funktionen auf das Amt des strategischen Chairman des Stiftungsrats zurückziehen. Um danach, sobald eine geeignete Person zur Verfügung steht, auch dieses Amt abzugeben. Gesucht wird jemand mit internationaler Führungserfahrung und erwiesenem Verständnis fürs WEF. Besonders freuen würde es Schwab, wenn dies eine Frau wäre. Namen wie Christine Lagarde oder Ursula von der Leyen stehen im Raum.

Aber braucht die Welt wirklich ein WEF ohne Klaus Schwab? Es liegt am informellen Kern der WEF-Treffen, dass schwer festzumachen ist, wie sehr diese zu einer besseren Welt beitragen. Historisch gesehen hat das WEF verschiedentlich Gutes bewirkt. Aber das hatte auch mit der ansteckenden Begeisterungsfähigkeit des unverbesserlichen Optimisten Schwab zu tun, der sich mit europäischen Staatschefs zu privaten Abendessen trifft und mit dem chinesischen Präsidenten zum Tee.

Der Rücktritt auf Raten des Gründers läutet jedenfalls eine neue Ära ein. Für die Schweiz steht dabei einiges auf dem Spiel. Weder von Frau Lagarde noch von Frau von der Leyen ist eine besondere Nähe zur Schweiz bekannt. Ob das Forum die Institution bleibt, die es heute ist, und ob sich eminente Vertreter von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft jährlich weiter in Davos treffen wollen, wird sich weisen müssen.

Wäre dies nicht mehr der Fall, verlöre die Schweiz nicht nur eine Veranstaltung, die ihre Sicherheitskräfte und Bundesräte auf Trab hält, sondern auch eine selten effektive Markenbotschafterin. Schwab ist zu wünschen, dass er auch seine letzte grosse Aufgabe mit Erfolg meistert und das WEF über sein Ableben hinaus lebendig und innovativ bleibt.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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